IJM

Christian Leupold-Wendling hat seine Leidenschaft zum Beruf gemacht. Bereits als Student gründete er den deutschen Ableger der Menschenrechtsorganisation International Justice Mission, die mit juristischen Mitteln gegen Menschenhandel, Sklaverei und Zwangsprostitution vorgeht. 

Die Lust am Gründen verflog auch nach dem Zweiten Examen und im Laufe seiner Anwaltstätigkeit nicht – 2018 gründete er die App Jurafuchs und hat nun die Vision, juristische Bildung zu digitalisieren. Im Interview verrät er sowohl Jurastudierenden, die bei Menschenrechtsorganisationen arbeiten möchten, als auch denjenigen, die über eine Unternehmensgründung nachdenken, worauf es ankommt.

Lieber Christian, Du hast als Student den deutschen Ableger der Menschenrechtsorganisation International Justice Mission gegründet. Wie ist die Idee dazu entstanden?

Ich habe als Jurastudent immer nach Praktika gesucht, die es mir ermöglichen würden, einen Blick in die Welt der NGOs (Non-governmental organisations) und der Entwicklungszusammenarbeit zu werfen. Als ich die Website von IJM gefunden habe, war ich gleich begeistert: Mit juristischen Mitteln gegen Menschenhandel, Sklaverei und Zwangsprostitution vorgehen? Da wollte ich gleich mitmachen und helfen. Es hat sich etwa zeitgleich eine Gruppe von Studierenden gebildet, die ein deutsches Büro aufbauen wollte. Da habe ich gern mitgemacht und mich engagiert.

Es gibt heute mehr Sklaven als zu der Zeit, als Abraham Lincoln die Abschaffung der Sklaverei verkündet und die Emanzipationsproklamation erlassen hat. Wie genau trägt nun eine Organisation wie IJM dazu bei, dass Menschen aus der Sklaverei befreit werden können und Täterinnen und Täter verurteilt werden?

Im Großen und Ganzen verbieten sowohl das jeweils geltende lokale Recht als auch internationales Recht Sklaverei und Menschenhandel nahezu weltweit. Davon sind auch moderne Formen der Sklaverei umfasst, wie z. B. Schuldknechtschaft oder sexuelle oder andere Arbeitsausbeutung. Das gilt ebenfalls für andere schwerste Menschenrechtsverletzungen, wie etwa illegale Polizeigewalt. Das Problem, das wir als Menschheit haben, und das dringend gelöst werden muss, ist ein Vollzugsproblem. Wir leben in Deutschland in einem funktionierenden Rechtsstaat. Nicht alle Verbrechen werden aufgeklärt und nicht für alle Straftaten gibt es Verurteilungen. Aber wenn man die Polizei ruft, hilft sie in der Regel. Dasselbe gilt für unser Justizsystem.

Das ist in vielen Ländern der Welt anders. IJM hat einen besonderen und einzigartigen Ansatz: Das Rechtssystem in Entwicklungs- und Schwellenländern stärken, indem wir die Polizei und die Justiz dabei unterstützen, in Einzelfällen tätig zu werden, d. h. ganz konkret: Opfer zu befreien und Täter zu verurteilen. Dabei werden strukturelle Probleme sehr konkret sichtbar, z. B. Schulungsbedarf bei Polizei, Staatsanwaltschaft oder Gerichten. Das Ziel ist dasselbe wie bei uns in Deutschland: Wenn geltendes (Straf-) Recht durchgesetzt wird, hat dies einen abschreckenden Effekt (General- und Spezialprävention) und verhindert Straftaten in der Zukunft.

Hast Du spezielle Tipps für Jurastudierende, die in Menschenrechtsorganisationen arbeiten wollen?

Ja, engagiert Euch! Und spezialisiert Euch! Gern erst lokal. Dann bei Bedarf auch national oder international. Es gibt so viel Gutes zu tun. Und so viele gute Initiativen. Viele Projekte können nur langfristig bestehen, wenn es eine große Gruppe gut ausgebildeter und hochmotivierter Ehrenamtlicher gibt, die mitmachen. Der Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen (und andere globale Problemfelder) ist komplex. Deshalb finde ich es wichtig, so früh wie möglich Erfahrung zu sammeln. Und gleichzeitig sehr auf gute Bildung und wenn möglich eine Spezialisierung zu setzen. Je besser man ausgebildet ist, desto effektiver kann man die Themen, die einem wichtig sind, voranbringen. Wenn Ihr bei IJM reinschnuppern wollt, bewerbt Euch bei IJM Deutschland für ein Praktikum. Oder bei IJM Global für ein Summer Legal Internship – ich war mit diesem Programm für mehrere Monate in Manila, Philippinen.

Zurück zum Thema Gründen. Im Jurastudium kommt man mit dem Thema Unternehmensgründung ja eher nicht in Kontakt. Ist es Deiner Meinung nach ratsamer, zunächst selber Erfahrungen in einem Unternehmen oder in einer Kanzlei zu sammeln – oder denkst Du, man sollte einfach ins kalte Wasser springen, wenn man eine gute Idee hat?

Die Frage ist gut und ich habe sie auch von Freunden und Bekannten schon des Öfteren gestellt bekommen. Ich bin aber zurückhaltend, meinen Weg zu sehr zu verallgemeinern. Ich glaube, es ist eine sehr persönliche Entscheidung, die auch stark von inneren Faktoren (mit wieviel Risiko fühle ich mich wohl) und äußeren Umständen (z. B. den finanziellen Möglichkeiten), der familiären Situation und vielem Weiterem abhängt. Für mich war es wichtig, nach dem Zweiten Staatsexamen zunächst direkt als Anwalt zu arbeiten, weil ich mir den Einstieg in einer Kanzlei nach einer Gründung deutlich schwieriger vorgestellt habe. Auf der anderen Seite hatte ich darauf auch Lust und habe dann auch sehr, sehr gern als Anwalt gearbeitet und viel gelernt. Und zudem konnte ich mich mit der Gründung von IJM Deutschland auch schon während meines Studiums austoben.

Jurafuchs haben wir 2018 gegründet, da war ich 35, war bereits verheiratet und hatte schon zwei Kinder. Damit geht natürlich eine enorme Verantwortung einher und auch ein entsprechender finanzieller Bedarf. Von der Arbeitserfahrung im hochprofessionellen Umfeld bei Hengeler Mueller habe ich bei Jurafuchs enorm profitiert. Auch die Ansprache von Investoren ist vielleicht leichter, wenn man bereits etwas Arbeitserfahrung hat. Von dem Kanzleigehalt hatte ich zudem noch ein kleines finanzielles Polster, das mir ein gutes Gefühl beim Gründen gegeben hat.

Mein Freund und Jurafuchs-Mitgründer Dr. Wendelin Neubert hat ebenfalls zunächst eine klassische juristische Laufbahn eingeschlagen, mit Promotion am Max-Planck-Institut in Freiburg und einer knapp vierjährigen Tätigkeit als Anwalt bei Noerr. Früher gründen hat den Vorteil, dass man in der Regel nicht so viel Geld zum Leben braucht, insbesondere wenn man noch keine Familie hat. Und auch zeitlich deutlich flexibler ist, als wenn man eine Familie hat. Mein Freund Steffen, der auch Mit-Gründer bei Jurafuchs ist, hat z. B. direkt nach der Uni gegründet. Er hat sein erstes Unternehmen 2018 verkauft. Ich glaube, dass er die Entscheidung und die Reihenfolge ebenfalls nicht bereut hat.

Eine Frage noch zum Abschluss: Du hast mit IJM Deutschland und Jurafuchs zwei sehr unterschiedliche Unternehmen gegründet und als Anwalt auch eine Zeit lang einen klassischen juristischen Beruf ausgeübt. Viele Jurastudierende haben wahrscheinlich ähnlich wie du vielseitige Interessen – denn nicht wenige studieren ja Jura, weil sie sich noch nicht auf einen Beruf festlegen wollen. Irgendwann werden angehende Jurist:innen aber mit der Frage konfrontiert, welchen Beruf sie anstreben wollen oder auf welches Rechtsgebiet sie sich spezialisieren wollen. Was hat Dir dabei geholfen, beides zu vereinbaren?

Beide Projekte – IJM und Jurafuchs – vereinen für mich vor allem eines: meine Leidenschaft. Die Gründung eines Projekts, das auf Dauer bestehen soll, erfordert eine wahnsinnige Ausdauer und eine nicht zu unterschätzende Willensanstrengung. Das klappt in der Regel nur, wenn man die Themen und Projekte auch wirklich wichtig findet. IJM hat einen einzigartigen Ansatz entwickelt, Gewalt gegen Arme, schwerste Menschenrechtsverletzungen und Straflosigkeit effektiv zu bekämpfen. Die Vision von IJM hat sich in den dreizehn Jahren, seitdem ich dabei bin, des Öfteren geändert, einfach weil wir frühere Visionen tatsächlich erreicht haben. Die aktuelle Vision (bis 2030) begeistert mich aber genauso wie am Anfang:

„Millionen befreien, eine halbe Milliarde schützen und Rechtssysteme stärken, um Sklaverei zu beenden und Gewalt gegen Arme nachhaltig zu bekämpfen.“

Bei Jurafuchs haben wir es uns zum Ziel gesetzt, juristische Bildung endlich effektiv zu digitalisieren und damit zugänglicher zu machen. Das gilt für Jurastudierende, die das Recht zum Beruf erlernen wollen und auf dem langen Weg dahin viel Zeit in das Selbststudium investieren müssen. Das gilt gleichermaßen für Bürger:innen, die im Alltag oder am Arbeitsplatz mit Recht in Berührung kommen und die von der Komplexität oder Sperrigkeit des Rechts überfordert werden. Fehlende juristische Bildung ist zudem nach wie vor eine große Hürde auf dem Weg zum Nachhaltigen Entwicklungsziel Nummer 16 (Sustainable Development Goal) der Vereinten Nationen: „… allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen…“: Denn wenn Du Deine Rechte nicht kennst, wirst und kannst Du sie auch nicht geltend machen.

Zudem gibt es einen globalen Megatrend der Verrechtlichungen unserer Gesellschaften. Wir werden nicht darum herumkommen, eine juristische Grundbildung (legal literacy) in unseren Bildungskanon aufzunehmen. Dafür leisten wir Pionierarbeit. Und das ist es, was mein Team und mich jeden Tag motiviert, aufzustehen und die kleinen Probleme des Alltags zu lösen. Der enorme Zuspruch der Jurafuchs-Community bestätigt uns dabei: Wir verzeichnen bereits 170.000 Nutzer:innen, die fast 20 Millionen Mal unsere Fragen in der Jurafuchs-App beantwortet haben.

Lieber Christian, vielen Dank für das Interview!

Das Interview führte Jasmin Kröner.

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