Zwei Tage geballtes Berufsstarterwissen – bei vielen Teilnehmer/innen des Seminars „Start in den Anwaltsberuf“ am 28.-29. Juni in Berlin dürften am Ende „die Köpfe geraucht“ haben. Von Marketing über Zeugenvernehmung bis hin zu Haftung und RVG – in der Vielfalt des Programms spiegelte sich die Komplexität des Anwaltsberufs wieder. Außerdem haben vier Juristen über die Vorzüge und Anforderungen ihrer unterschiedlichen Berufswege berichtet.
Im Mittelpunkt der diesjährigen Veranstaltung des Traditionsseminars „Start in den Anwaltsberuf“ des FORUM Junge Anwaltschaft stand die Diversität des Anwaltsberufes. Heutzutage ist es gar nicht selbstverständlich, dass der Karriereweg eines Jungjuristen von der Assessorenstelle zur Partnerschaft führt. Der Wunsch nach mehr Flexibilität und einer besseren Work-Life-Balance zieht Jurist/innen auch in ein Angestelltenverhältnis als Syndikusse oder Verbandsjuristen. In der Begrüßungsrunde des Seminars hatten die Teilnehmer/innen deshalb die Gelegenheit, Fragen an Vertreter/innen von vier Berufswegen zu stellen: Rechtsanwältin, Notarin und Vorsitzende des FORUM Junge Anwaltschaft Ruth Nobel erzählte, auf welche Chancen und Herausforderungen man treffe, wenn man früh in die Selbstständigkeit gehe. Robert Pahlen von Noerr ermöglichte Einblicke in die Sichtweise einer Großkanzlei. Vom Karriereweg einer Unternehmensanwältin erzählte Cordula Modest. Sie ist in der Rechtabteilung der Deutschen Bahn AG tätig. Dr. Christian-Henner Hentsch, der für den game-Verband der deutschen Games-Branche e. V. arbeitet, verriet wie die tägliche Arbeit eines Verbandsjuristen aussieht. Während der Kurzvorträge und der anschließenden Fragerunde wurde klar, dass unabhängig vom Rechtsgebiet die Arbeitsbedingungen, Anforderungen und Karrierechancen in allen vier Karrierevarianten sehr unterschiedlich sind.
Der lange Weg zur Selbstständigkeit
Die meisten Fragen gingen an Ruth Nobel, die vom Aufbau ihrer eigenen Kanzlei berichtete. Die junge Rechtsanwältin und Notarin machte sich schon drei Monate nach dem 2. Staatsexamen selbstständig. „Am Anfang brauchte ich gar nicht viel – einen funktionierenden Kopf, eine Bürogrundausstattung und ein Schild an der Tür. Deswegen habe ich die Kosten zunächst gering gehalten. Wachsen kann ich ja später immer noch, habe ich mir gesagt.“ Viel wichtiger als beeindruckende Räume seien Kontakte, die einem Mandate zuspielen. „In der Anfangszeit habe ich bekannten Kolleg/innen gesagt: ‚Wenn ihr Mandate nicht machen wollt oder könnt, wegen Interessenkollision o. Ä., schickt sie zu mir‘. So hatte ich zwei bis drei Kanzleien, die immer mal etwas an mich weitergegeben haben – aber auch alles, muss man dazu sagen.“ Unangenehme Mandate seien dennoch besser als gar keine, so Nobel: „Das Schlimmste ist, wenn man da sitzt und alles machen könnte, aber es kommt keiner.“ Als Nobel durch eine Kanzleiabwicklung schließlich 800 Akten übernahm, musste sie sich keine Gedanken mehr über zu wenig Arbeit machen. Neben dem Kontakteknüpfen appellierte Nobel auch an die Anwesenden, sich früh zu spezialisieren. „Wer spezialisiert ist, hebt sich von der Konkurrenz ab und kann sich gegen Ältere durchsetzen“, so Nobel.
In der Fragerunde nahm die Finanzierung der Fortbildung einen großen Raum ein. Beim Aufbau der eigenen Kanzlei einen finanziellen Puffer in der Hinterhand zu haben, sei laut Nobel unerlässlich. Was man anfangs einnehme, müsse u.a. für die Fachanwaltskurse wieder investiert werden. Bildungschecks, KfW-Kredite und Gründerzuschüsse vom Arbeitsamt helfen hier in der Anfangsphase, erklärte Nobel: „Noch im Referendariat bin ich zum Arbeitsamt gegangen und habe gesagt, dass ich mich selbstständig machen werde. So habe ich einen Gründungszuschuss und Arbeitslosengeld 1 bekommen, also 60 Prozent vom Referendariatsgehalt, insgesamt 748,60 Euro, davon 300 Euro zur sozialen Absicherung.“ Dennoch, die Finanzierung bereitete ihr an manchen Tagen „schlaflose Nächte“. Weil Nobel ihre Ausgaben jedoch immer im Kopf hatte, schrieb sie schnell schwarze Zahlen. „Wer weiß, wie viel man für was ausgibt, hat große Vorteile. Ich wusste genau: So viel muss ich in diesem Monat einbringen, damit ich meine Kosten decken kann.“
Vielfalt im Team – der Arbeitsalltag einer Syndikusanwältin
Ganz anders gestaltet sich der Arbeitsalltag in einem Unternehmen als Syndikusanwältin, wie Cordula Modest von der Deutschen Bahn AG berichtete. Im Referendariat wollte sie eigentlich den Richterberuf anstreben, schnupperte aber vorher bei Unternehmen rein. „Syndikusanwälte schienen mir ganz zufrieden zu sein. Die kamen immer recht pünktlich, wenn man sich abends verabredete. Die Leute aus den Kanzleien kamen eher später.“ Doch nicht nur wegen der Work-Life-Balance habe sich Modest für eine Rechtsabteilung entschieden. Auch die Teamarbeit weiß sie heute sehr zu schätzen. Die Deusche Bahn AG beschäftigt in seinen unterschiedlichen Rechtsabteilungen insgesamt 200 Mitarbeiter. „In der Einarbeitungszeit hatte ich immer jemanden, den ich fragen konnte. Es war ein verhältnismäßig sanfter Einstieg.“ Inhaltlich beschäftige sie sich vorwiegend mit Inhouse-Beratung und Compliance. Eine durchgehende Präsenzpflicht bestehe in ihrem Unternehmen nicht. „Es gibt Mitarbeiter, die nur ein paar Tage im Büro sind und den Rest von dort aus erledigen können, wo sie wollen. Auch Teilzeit ist gar kein Problem. Hier wird sich in den nächsten Jahren überall viel verändern.“
Als Anwalt in der Großkanzlei – Keine Dauerüberstunden mehr
Auch in den Großkanzleien finde in Sachen Work-Life-Balance ein Wandel statt. Das Klischee der vielen Überstunden im Anwaltsberuf konnte Robert Pahlen als Mitarbeiter der deutschen Großkanzlei Noerr nicht bestätigen. Der in München ansässige Anwalt arbeitet dort im Bereich Fusionskontrolle, Schadensersatzrecht, Kartellrecht und Compliance. „Es bringt heute nichts mehr, die Gehälter nach oben zu schrauben, um neue Mitarbeiter/innen anzulocken. Das haben nun auch die Großkanzleien erkannt. Mittlerweile gibt es auch viele Teilzeitmodelle und Möglichkeiten, im Home-Office zu arbeiten.“ Er schätze bei seiner Arbeit vor allem den Einblick in die Prozesse vieler unterschiedlicher Branchen. Auch, dass er gelegentlich Gerichtstermine wahrnimmt, findet Pahlen spannend.
Verbandsjuristen brauchen Kommunikationskompetenzen
Vielfältig, aber vor allem kommunikativ ist die Arbeit als Verbandsjurist, wie Dr. Christian Henner-Hentsch vom game-Verband der deutschen Games-Branche e. V. berichtete. Er leitete seinen Vortrag so ein: „Für mich stand sehr früh fest, dass ich Jura studieren möchte, aber auch, dass ich nicht Rechtsanwalt werden möchte.“ Neben Jura studierte Henner-Hentsch deswegen auch Geschichte und fand so seine Spezialisierung in rechtspolitischen Fragestellungen, oder dem „Narrativ“. „Oft geht es auch um Framing, also die Fähigkeit, Dinge in einen bestimmten Kontext zu setzen.“ Vor seiner Tätigkeit als Verbandsjurist arbeitete er im Bundestag als Mitarbeiter eines Abgeordneten. Heute muss Henner-Hentsch die Interessen seines Arbeitgebers vor Politikern, Wirtschaftsvertretern und vielen anderen Zielgruppen vertreten und durchsetzen. Juristisch gesehen sei er daher eher Generalist und beschäftige sich zum Beispiel häufig mit Regulierungen und Gesetzen im Jugend-, Urheber oder Datenschutzrecht. Stellungnahmen zu erarbeiten, aber auch die interne Rechtsberatung gehöre zu seinen Aufgaben. Zusätzlich nehme er im Gegensatz zu vielen anderen Anwälten häufiger eine moderierende Rolle ein. „Als Rechtsanwalt im Verband streitet man nicht so viel. Unser Ziel ist es, Konsens zu finden“, erklärte er. Als Verbandsjurist habe man seiner Erfahrung nach außerdem „maximale Flexibilität“ in Sachen Arbeitszeit. „Ich muss raus auf die Straße und Leute treffen und auch Abendveranstaltungen besuchen.“ Daher sei man auch im Verbandsbereich für Teilzeitmodelle und Heimarbeit offen. Zusätzlich hob Henner-Hentsch die guten Karriereoptionen hervor. Juristen, die in Verbänden aktiv seien, erreichten häufig auch die Geschäftsführerebene.
Jungjuristen glänzen durch breites Fachwissen
Alle vier Referentinnen und Referenten vermittelten eine gemeinsame Botschaft an die rund 50 Jungjuristen: von älteren Kolleg/innen bloß nicht entmutigen lassen! „Wenn man aus dem Referendariat kommt, hat man ein breites juristisches Wissen. Da können viele ältere Kolleg/innen überhaupt nicht mehr mithalten. Deshalb sollte man sich trotz geringer Berufserfahrungen nicht einschüchtern lassen!“, sagte Ruth Nobel. Später fügte Robert Podgajny, Referent und Mitglied des geschäftsführenden Ausschusses im FORUM hinzu: „Mit der Zeit wird man im Anwaltsberuf nicht schlauer, man lernt nur, besser mit Nichtwissen umzugehen.“ Letztlich sei die kommende Anwaltgeneration laut Max Gröning, Geschäftsführer des Deutschen Anwaltvereins, in einer komfortablen Lage: „Die Absolventenzahlen sind rückläufig. In vielen Branchen werden juristische Fachkräfte gesucht.“ In jedem Fall sind frühes Netzwerken und Ausprobieren wichtig. Das Seminar „Start in den Anwaltsberuf“ bot hierfür eine gute Gelegenheit.
Fotos: FFI-Verlag/Deutscher Anwaltverein