Du hast sicherlich schon eine oder mehrere Klausuren im Jurastudium geschrieben – und aus meiner Erfahrung lässt man sich häufig von der Klausurangabe blenden. Normalerweise läuft es in einer Klausur so ab, dass Du in einem Bruchteil von einer Sekunde die komplette Aufgabe scannst und entweder das Gefühl hast: „Das kenne ich!“ – oder Du verfällst in Panik, weil Du den Fall eben nicht kennst. Wer so an Klausuren herangeht, verliert ziemlich viel – und darum geht es in diesem Beitrag.
Beim Lesen des Falles weder in Euphorie noch in Panik verfallen
Juranoten sind immer unvorhersehbar. Das ist kein Geheimnis – manchmal kriegst Du eine Klausur zurück, von der Du dachtest, die ist komplett gegen die Wand gefahren und die Punkte sind doch annehmbar. Und manchmal denkst Du, das war die Klausur Deines Lebens – und dann kriegst Du drei oder vier Punkte zurück. In den wenigsten Fällen kommt das raus, womit man eigentlich gerechnet hat. Das weiß man nie – auch im Examen nicht. Wenn Du denkst, eine Klausur ist leicht, dann liegt das wahrscheinlich daran, dass Du den Fall schon kennst. Gerade bei „leichten“ Klausuren ist die Gefahr für dumme Leichtsinnsfehler aber viel größer, als bei einer sehr schweren Klausur.
In beiden Fällen liegt der gleiche Trugschluss zugrunde – Du denkst, Du kennst das Ergebnis der Klausur (nicht) – und deswegen ist die Klausur entweder einfach oder schwer. Warum ist das zu kurz gedacht? Ganz einfach: Wenn Du einen Fall für bekannt hältst, oder meinst, Du kennst die dazugehörige BGH-Entscheidung, dann vernachlässigst Du ziemlich schnell den eigentlichen Weg, nämlich das saubere Subsumieren. Dadurch rennst Du zu schnell zum Ergebnis. Wenn Du das Ergebnis kennst, ist die Arbeit ist nicht mehr so sauber und die Argumentation nicht mehr objektiv. Eine kritische Beurteilung des Falles bleibt teils aus, weil man auf sein Ergebnis hinläuft.
Sauber mit der Systematik des Gesetzes arbeiten
Wenn es eine schwere Klausur ist, verlierst Du Dich in Panik, weil Du denkst, dass du den Inhalt noch nicht gelernt hast. Auch das ist der falsche Weg. In beiden Fällen musst Du sauber und am Gesetz arbeiten, denn es kommt nicht auf das Ergebnis an. Es ist nicht wichtig, dass Du das Ergebnis schon kennst, oder den Fall unbedingt schon mal gemacht hast. Viel wichtiger ist, dass Du mit der Systematik des Gesetzes und einer sauberen Subsumtion die Klausur ihrem Ergebnis zuführst.
Du erinnerst Dich bestimmt noch an den Matheunterricht in der Schule – damit kannst Du es ziemlich gut vergleichen. Wie sieht die Benotung des Lehrers aus? Wird er sich nur das Ergebnis anschauen und sagen: „Das Ergebnis ist richtig – der Rest ist mir egal“? Nein – er wird sich die Klausur anschauen und sagen: „Hier hast Du einen Fehler gemacht und an einer anderen Stelle hast Du noch einen Fehler gemacht – der noch nicht mal ein Folgefehler war“. Folgefehler sind nicht dramatisch, denn dann bleibst Du wenigstens konsequent. Wenn das Ergebnis trotzdem stimmt, hat das nicht die Bedeutung, die man ihm gerne zumessen möchte.
So ist es im übertragenen Sinne bei Jura auch – selbst wenn das richtige Ergebnis rauskommt, also: „Ist strafbar“, „Tatbestand erfüllt“ oder „Anspruch ist gegeben“, aber Du auf dem Weg dahin viele in sich unschlüssige Fehler gemacht hast, dann bringt Dir das nichts. Dann wird der Korrektor viel eher sagen: „Das ist keine gute Klausur.“.
Jede Klausur im Jurastudium hat eine Lösung
Viel wichtiger ist also beim ersten Durchlesen der Klausur: Verfallt weder in Euphorie, noch in Panik, sondern lest den Bearbeitervermerk – vielleicht sogar am Anfang. Worum geht es in der Klausur, worauf muss ich achten? Dann solltet Ihr mehrfach die komplette Klausurangabe lesen. Macht Euch Notizen. Bei einer schweren Klausur macht Ihr es ganz genauso. Es gibt immer Kolleginnen und Kollegen im Studium, die sagen: Wenn ich gar keine Ahnung habe von einem Thema, wie soll ich dann den Fall lösen?
Das ist genau das, was eine gute Juristin oder einen guten Juristen ausmacht. Ganz am Anfang mag das mit Sicherheit schwierig sein. Genau dann musst Du Dir sagen: Jede Klausur hat eine Lösung, genauso wie auch jedes Problem eine Lösung hat! Wie bei einem Problem muss die Lösung nur gefunden werden.
Das Gesetz ist alles! Wenn Du nicht weiterkommst, schau im Gesetz nach. Aber lass‘ Dich von der Angabe nicht blenden und nicht verwirren, sondern nimm sie als das was sie ist, nämlich Dein Türöffner in Deine systematische Lösung. Und gerade an schweren Klausuren wächst Du am meisten.
Ich wünsche Dir viel Erfolg bei Deiner nächsten Klausur!