Urteile 2020

Zum Jahresbeginn blicken viele auf 2020 zurück. Auf den ersten Blick erscheint es, als hätte es nur eines gegeben: Corona. Doch auch andere Themen haben die Menschen, und insbesondere die Gerichte, beschäftigt. In diesem Beitrag werden fünf wichtige Urteile von 2020 im Überblick vorgestellt.

VW-Abgasskandal: Schadenersatz für Dieselfahrer in voller Höhe?

Am 18.09.2015 wurde bekannt, dass die Volkswagen AG illegal Abschalteinrichtungen in ihren Fahrzeugen verbaut hatte, welche jedoch bereits seit dem 15.01.2013 verboten sind. Die Käuferinnen und Käufer wussten damals noch nichts von den Manipulationen – andernfalls hätten sie die Kaufverträge wohl niemals abgeschlossen. Folge war eine Klage zahlreicher Kundinnen und Kunden gegen die Volkswagen AG.

BGH: Schadensersatz-Urteil und Vielfahrer-Urteil

In seinem Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 entschied der VI. Zivilsenat des BGH, dass der Käufer Schadensersatzansprüche nach § 826 BGB wegen sittenwidriger Schädigung gegen die Volkswagen AG geltend machen kann, allerdings nur dann, wenn das Auto vor Bekanntwerden des Abgasskandals im Herbst 2015 gekauft wurde (Schadensersatzurteil). Der Käufer kann Erstattung des Kaufpreises verlangen, muss sich jedoch die gezogenen Nutzungen anrechnen lassen und der Volkswagen AG das Auto wieder zurück geben. Werden die gezogenen Nutzungen also angerechnet, wird der zu erstattende Kaufpreis automatisch aufgezehrt, sobald ein bestimmter Kilometerstand erreicht ist. Das bedeutet, dass je nach Kilometerstand des Fahrzeuges die Erstattung geringer ausfällt und bei Erreichen eines gewissen Kilometerstandes eine Rückzahlung sogar  komplett entfällt (Vielfahrer-Urteil).

Deliktzinsen-Urteil

Bezüglich etwaiger Deliktzinsen entschied der BGH, dass diese eine nicht gerechtfertigte Überkompensation darstellen. Deliktzinsen können nur dann erstattet werden, wenn die Käufer beweisen können, dass unter anderen Umständen die für das Fahrzeug gezahlte Summe nicht für ein anderes Fahrzeug ausgegeben worden wäre und das Geld dementsprechend immer noch auf der Bank liegen würde. Dies dürfte in den meisten Fällen jedoch nicht der Fall sein.

OLG Dresden: Musterfeststellungsklage gegen die Sparkasse Leipzig

Die Verbraucherzentrale Sachsen erhob Musterfeststellungsklage gegen die Sparkasse Leipzig vor dem OLG Dresden, nachdem der Verdacht, dass jahrelang zu geringe Zinsen bei Sparverträgen ausgezahlt wurden, lauter wurde. Der Sparkasse wurde vorgeworfen, ungültige Klauseln in Sparverträgen verwendet zu haben.

Das OLG Dresden urteilte im April 2020, dass die Sparkasse Leipzig bei etlichen Verträgen die Zinsen falsch berechnet hatte: Die Sparkasse Leipzig verwendete teils unzulässige Zinsanpassungsklauseln. Durch diese Klauseln war es den Banken möglich, den Zins nach eigenem Ermessen anzupassen. Diese Vorgehensweise ging klar zu Lasten der Kundinnen und Kunden, die anschließend zu wenige Zinsen gutgeschrieben bekamen. Aus diesem Grund können bei Verträgen die zu geringen Zinsen rückwirkend bis 1994 geltend gemacht werden.

BGH: Impfpflicht gegen Masern bei Kindern?

Der BGH wies einen Eilantrag ab, mit dem zwei Elternpaare durchsetzen wollten, dass ihre nicht gegen Masern geimpften Kinder dennoch die Kita besuchen dürfen. Er begründete seine Entscheidung damit, dass seit dem 01.03.2020 eine Masernimpfung vorgeschrieben ist. Kinder werden seitdem nur dann in einer Kita aufgenommen, wenn vorab eine Impfung vorgenommen wurde, oder wenn die Kinder bereits immun sind, da sie die Masern bereits hatten.

Der BGH begründete seine Entscheidung damit, dass im Rahmen einer Abwägung der Schutz der Allgemeinheit vorgehe. Stelle man sich vor, dass möglicherweise ein einziges krankes Kind die gesamte Kita mit Masern anstecke, steht dies nicht mehr im Verhältnis zu einer Impfung, deren Risiken absolut gering sind.

Eine Ärztevereinigung hatte bereits vorab beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde gegen die Impfpflicht eingelegt: Jeder solle selbst entscheiden dürfen, ob er geimpft werden möchte oder nicht. Die Entscheidung steht bislang noch aus.

Verwaltungsgericht Berlin: Vermietung über Airbnb ohne Genehmigung?

Ein weiterer Fall, der die Gerichte im Jahr 2020 beschäftigte, könnte Folgen für Urlauber haben, die regelmäßig über Airbnb Unterkünfte buchen. Airbnb wird hierbei Zweckentfremdung vorgeworfen. Bekanntlich ist der eigentliche Sinn von Airbnb, dass die eigene Wohnung nur dann vermietet wird, wenn man nicht zu Hause ist. Stattdessen sichern sich einige Anbieterinnen und Anbieter jedoch einen dauerhaften Nebenverdienst durch Touristen. Dies hat zur Folge, dass Wohnraum knapper wird und die Mieten steigen. Aus diesem Grund wurde in den Ländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen bereits ein Zweckentfremdungsgesetz eingeführt, welches jedoch nicht immer ganz einfach umzusetzen ist, da die Grenzen zwischen einer gelegentlichen und einer dauerhaften Vermietung nicht immer klar zu definieren sind. Genau mit dieser Frage beschäftigte sich auch das Berliner Verwaltungsgericht im Rahmen des folgenden Falles.

Worum ging es?

Ein Ehepaar bot seine Wohnung im Jahr 2017 bei Airbnb für 45 Euro pro Nacht dauerhaft für Touristen an. Im Preis enthalten waren Bettwäsche, WLAN sowie alle Nebenkosten. Daraufhin forderte das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg in Berlin das Paar Mitte 2018 auf, dass die Wohnung wieder als private Wohnung zu nutzen sei. Gegen diese Aufforderung wehrte sich das Paar mit der Begründung, dass in der Wohnung zeitweise ihr Au-pair-Mädchen wohne. Nur, wenn diese nicht dort sei, biete man die Wohnung für Touristen an – für maximal ein oder zwei Monate.

Wie hat das Gericht entschieden?

Das Gericht sah in der Vorgehensweise einen Verstoß gegen das Zweckentfremdungsgesetz. Wird eine Wohnung regelmäßig für Zeiträume unter drei Monaten an Touristen vermietet, handelt es sich um eine Ferienwohnung. Diese ist nicht als Lebensmittelpunkt anzusehen und damit keine private Wohnung im Sinne des Zweckentfremdungsgesetzes von Berlin. Als Ferienwohnung genutzte Wohnungen müssen vorab von den zuständigen Behörden genehmigt werden. Dass eine solche Genehmigungspflicht nicht gegen geltendes EU-Recht verstößt, betonte auch noch einmal der Europäische Gerichtshof, da mit der Genehmigungspflicht in erster Linie der Wohnraummangel bekämpft werden soll. Eine solche Maßnahme ist als verhältnismäßig anzusehen, denn ein gleich wirksames, milderes Mittel gibt es in diesem Fall nicht.

BVerfG: Verfassungsmäßigkeit des § 217 StGB

Schwerkranke, Sterbebegleiter*innen, Ärztinnen und Ärzte sahen sich durch § 217 StGB, welcher die sog. geschäftsmäßige Suizidassistenz unter Strafe stellt, in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht bzw. in ihrer Berufsfreiheit verletzt. Beim assistierten Suizid wird einem Sterbewilligen ein todbringendes Mittel überlassen. Der Betroffene begeht die Handlung anschließend selbst, da Suizid in Deutschland nicht strafbar ist. Der 2015 vom Bundestag beschlossene § 217 StGB verbietet jedoch geschäftsmäßige, also auf Wiederholung angelegte Suizidbeihilfe von Organisationen oder Ärztinnen und Ärzten.

Das Bundesverfassungsgericht sollte daraufhin die Verfassungswidrigkeit der Norm überprüfen. Das Gericht urteilte am 26.02.2020 auf Grundlage des Grundgesetzes, wonach die Würde des Menschen unantastbar ist – davon umfasst sei auch der Tod. Demnach ist die Beihilfe zum Suizid uneingeschränkt straflos, da § 217 StGB in das allgemeine Persönlichkeitsrecht Sterbewilliger eingreife. Die Norm ist demnach aufgrund ihrer Verfassungswidrigkeit als nichtig anzusehen. Ob der Bedarf einer Neuregelung bestehe, ist derzeit noch nicht endgültig geklärt.

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