Urteile 2021

Trotz fortwährender Pandemie hat sich das Jahr 2021 zumindest für (angehende) Juristen und Juristinnen nicht nur um Corona gedreht, sondern auch viele andere relevante Urteile hervorgebracht.

Eine Auswahl der wichtigsten Urteile aus 2021 findet ihr in diesem Beitrag in aller Kürze zusammengefasst.

Schadensersatz trotz Weiterverkaufs: Neue Diesel-Entscheidungen

Auch in diesem Jahr beschäftigte der sog. „Diesel-Skandal“ den Bundesgerichtshof (Az. VI ZR 533/20 und 575/20). Mit Blick ins Deliktsrecht stellte der BGH fest, dass der Weiterverkauf betroffener Fahrzeuge den Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB grundsätzlich nicht entfallen lässt. Die Kläger hatten ihre, mit der Steuerungssoftware versehenen Fahrzeuge, weiterverkauft und begehrten (dennoch) Schadensersatz aufgrund einer vorsätzlichen, sittenwidrigen Schädigung. Das Bestehen einer solchen Schädigung entschied der VI. und VIII. Zivilsenat bereits im Jahr 2020: Das Unternehmen brachte PKWs mit einer Abschalteinrichtung in den Verkehr, die über eine Steuerungssoftware verfügte. Diese Software erkannte, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im Straßenverkehr befand, wobei der Dieselmotor während der Prüfung weniger Stickoxid ausstieß als auf der Straße. Den Schadensersatzanspruch trotz des Weiterverkaufs der betroffenen Autos begründet der BGH damit, dass durch diesen der Verkaufserlös an die Stelle des im Wege der Vorteilsausgleichung herauszugebenden und zu übereignenden Fahrzeugs getreten sei. In anderen Worten: Der Geschädigte erhält die Differenz des von ihm gezahlten Kaufpreises und dem Erlös, den er abzüglich der Nutzungsentschädigung beim Weiterverkaufen erhalten hat.

BVerfG: Klimaschutz ist grundrechtlich verankert

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) beschloss am 24.3.2021, dass der § 3 Abs. 1 Satz 2 KSG (Bundes-Klimaschutzgesetz) in Teilen mit den Grundrechten unvereinbar sei und zu kurz greife. Die Beschwerdeführer brachten vor, der Staat habe keine ausreichenden Regelungen zur Reduktion von Treibhausgasen unternommen. Diese seien aber zwingend erforderlich, um die Erwärmung der Erde bei 1,5 °C oder wenigstens bei unter 2 °C anzuhalten. Nun wurde geurteilt, dass der Gesetzgeber die Reduktionsziele für die Zeit nach 2030 näher regeln müsse. Das BVerfG machte in seinem Beschluss (1 BvR 2656/18) klar, dass Art. 20a GG den Staat auch zur Herstellung von Klimaneutralität verpflichte. Dieser staatlichen Verantwortung stehe nicht entgegen, dass es sich bei der Klimakrise nicht um ein nationales, sondern ein internationales Problem handele. Weiter verpflichte das Grundgesetz zur verhältnismäßigen Verteilung von Freiheitschancen über die Generationen hinweg: Nachfolgenden Generationen kann nicht die überwiegende Reduktionslast unter eigener, radikaler Enthaltsamkeit aufgebürdet werden, während gegenwärtig große Teile des Co2-Budgets unter milder Reduktionslast verbraucht werden.

Erfolgsqualifizierter Versuch trotz fehlgeschlagenen Grunddelikts

Der BGH stellte in seinem Urteil vom 12.8.2021 (Az. 3 StR 415/20) fest, dass ein Grunddelikt, in diesem Falle Brandstiftung, mit der Erfolgsqualifikation, der Todesfolge, auch dann verwirklicht werden kann, wenn der Täter nur zur Brandstiftung ansetzt. Voraussetzung ist, dass sich der Vorsatz des Täters auf den Tod des Geschädigten richtet. Die beiden Angeklagten warfen nachts einen sog. Molotowcocktail in das Schlafzimmer des Opfers, wodurch dieses sterben und das Mehrfamilienhauses niederbrennen sollte. Der Brandsatz zündete jedoch nicht. Der BGH bejahte das Vorliegen der §§ 306a Abs. 1 Nr. 1, 306c, 22 StGB: Nach der Vorstellung der Täter haben diese durch den Wurf der benzingefüllten Flasche sowohl zur Brandstiftung als auch zur Tötung angesetzt. Der BGH verwies hier unter anderem auf § 11 Abs. 2 StGB, der ein erfolgsqualifiziertes Delikt als eine vorsätzliche Tat anerkenne. Das Grunddelikt muss daher weder bereits vollendet noch die schweren Folgen eingetreten sein, um den Versuch eines erfolgsqualifizierten Tatbestandes zu verwirklichen.

Unwirksame Klauseln in Bank-AGB  

Der Bundesgerichtshof setzte sich in seinem Urteil vom 27.4.2021 (Az. XI ZR 26/20) mit den branchenüblichen AGB einer Bank auseinander. Betroffen sind solche Klauseln, die das Änderungsangebot als angenommen ansehen, wenn der Kunde oder die Kundin nicht innerhalb einer bestimmten Frist widerspricht. Diese Zustimmungsfiktion darf jedoch zu keiner unangemessenen Benachteiligung der Verbraucherin oder des Verbrauchers führen. Zu dieser Benachteiligung würde es aber gerade kommen, da die Änderungsmöglichkeiten, die sich die Bank einräume, den gesamten Geschäftsbereich betreffen. Nun entschied der elfte Zivilsenat die Unwirksamkeit solcher Klauseln. Neben der zutreffenden unangemessenen Benachteiligung verstießen solche unbeschränkten Zustimmungsfiktionen auch gegen vertragliche Grundprinzipien. Weiter stellte der BGH fest, dass § 675g BGB nicht bereits aufgrund der „Übereinstimmung“ der Normen die Anwendung der §§ 307 ff BGB sperre: Die §§ 307 ff. BGB regeln neben dem Mechanismus der Änderung auch deren Reichweite und ergänzen § 675g BGB daher eher. Außerdem habe § 675g BGB keinen abschließenden Vorrang gegenüber den §§ 307 ff. BGB.

Abgewiesen aufgrund des Alters, (k)ein Fall des AGG

Was ein Party-Abend werden sollte, endete in einem nicht nur für Juristen und Juristinnen spannenden Urteil. Ein 44-jähriger Anwalt aus München wollte an dem Open-Air-Event „Isarrauschen“ teilnehmen, wurde jedoch am Eingang mit der Begründung abgewiesen, er sähe zu alt aus. Als Reaktion hierauf zog der Anwalt zuerst vor das Amtsgericht und forderte 1.000 Euro Entschädigung aufgrund der behaupteten Diskriminierung wegen seines Alters. Hierbei stützte sich der Kläger auf §§ 19 Abs. 1, 21 Abs. 2 AGG. Nachdem er sowohl beim Amtsgericht als auch vor dem Landgericht scheiterte, schlug der Sachverhalt in Karlsruhe vor dem Bundesgerichtshof (Az. VII ZR 78/20 – Urteil vom 5.5.2021) auf. Dieser bestätigte das vorinstanzliche Urteil, denn es mangele bereits an der Anwendbarkeit des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG).

Hierfür müsste es sich bei der Veranstaltung um ein Massengeschäft handeln. Der Anbieter müsste also grundsätzlich bereit sein, mit jedem und ohne Ansehen der Person, ein Schuldverhältnis einzugehen. Das Massengeschäft liegt also nicht vor, wenn der Anbieter erst nach Würdigung des potenziellen Vertragspartners und seiner persönlichen Merkmale die Entscheidung über einen Vertragsschluss trifft. Dem Veranstalter des „Isarrauschens“ sei es jedoch gerade auf die persönlichen Merkmale der Feiernden angekommen: Anders als bei Theater-, Kino-, oder Konzertveranstaltungen sei für die (Party-) Veranstaltung die Interaktion der (homogenen) Gruppe wichtig. Daher sei der Anwendungsbereich des AGG nicht eröffnet und der Wille des Veranstalters, nur eine bestimmte Altersgruppe als Gäste zu empfangen, hinzunehmen. Darüber hinaus herrschten für Diskriminierungsmerkmale wie „Rasse“ und „ethnische Herkunft“ andere Maßstäbe, so der BGH.

Erstmals: Der BGH entscheidet über „Alleinrennen“ – § 315d StGB

Der Bundesgerichtshof hat sich am 17.2.2021 erstmalig mit dem § 315d StGB befasst: Dem verbotenen Kraftfahrzeugrennen, auch „Alleinrennen“ genannt.

Was war geschehen?

Der Angeklagte mietete sich am Tattag ein 550 PS starkes Auto mit einer Höchstgeschwindigkeit von 300 km/h. Gegen halb 12 Uhr abends holte er nach einem Tag voller riskanter Fahrten einen Bekannten ab und sie begaben sich auf ihre letzte Tour durch die Stuttgarter Innenstadt. Ihr Weg führte sie die nachts belebte Hauptstraße entlang. Der Angeklagte beschleunigte das Fahrzeug auf 163 km/h bei zugelassenen 50 km/h. In der Kurve vor dem späteren Unfallort bremste er auf 150 km/h herab, um die Spur noch halten zu können. Ein weiteres Fahrzeug, das hinter der Kurve nach links abbiegen wollte, wurde vom Angeklagten erst dann erkannt, als eine Vollbremsung nicht mehr geholfen hätte. Um eine Kollision zu vermeiden, wich der Angeklagte nach links aus. Hierbei verlor er die Kontrolle über seinen Wagen und fuhr mit 90 km/h seitlich in das Fahrzeug der Geschädigten. Sie und ihre Beifahrerin starben noch am Unfallort.

Rechtliche Bewertung

Im Zuge der Revision der Nebenkläger beschäftigte sich der Bundesgerichtshof (Az. 4 StR 225/20) mit den Voraussetzungen des § 315d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 und 5 StGB. Nicht angepasst sei demnach jede, der konkreten Verkehrssituation nach den straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften nicht mehr entsprechende Geschwindigkeit. Auch bejahte der BGH das grob verkehrswidrige und rücksichtslose Führen des Fahrzeugs in der konkreten Situation. Der Angeklagte überschritt die zulässige Höchstgeschwindigkeit um ein Mehrfaches. Auch wollte er durch seine halsbrecherische Fahrweise seinem Bekannten imponieren und sein Fahrtalent unter Beweis stellen, wobei ihm dieses Bedürfnis wichtiger war als die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer.

Kleiner Tipp: Nach der h. M. werden diese Prüfungspunkte (grob verkehrswidrig und rücksichtsloses Fahren) trotz ihres auf den ersten Blick subjektiv wirkenden Charakters im objektiven Tatbestand geprüft.

Der BGH positionierte sich auch bei der Bewertung der Höchstgeschwindigkeit im subjektiven Tatbestand. Neben dem Vorsatz ist die Absicht maßgeblich, durch das Fortbewegen eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Ginge man von der fahrzeugspezifischen Höchstgeschwindigkeit von 300 km/h aus, so wären die gefahrenen 150 km/h (wohl) zu gering, um diese Absicht bejahen zu können. Daher wurde auf die situations- und verkehrsspezifische Ermittlung der Höchstgeschwindigkeit verwiesen: Die Absicht muss sich auf das Erreichen der, nach den Vorstellungen des Fahrers, unter den konkreten situativen Gegebenheiten maximal möglichen Geschwindigkeit beziehen. Diese Absicht muss nicht Endziel oder Hauptbeweggrund des Handelns sein. Ausreichend sei, dass der Täter das Erreichen der situativen Höchstgeschwindigkeit als für ihn notwendiges Zwischenziel anstrebt, um ein weiteres Handlungsziel zu erreichen.

Weitere Rechtsprechung in sog. „Raser-Fällen“ wird uns wohl auch in den nächsten Jahren begleiten.

Foto: Adobe.Stock/©Blackosaka

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