Legal Tech Großkanzlei

Großkanzleien haben mit Legal Tech gar keine Probleme – wirklich? Dr. Bernhard Fiedler ist bei der Großkanzlei Norton Rose Fulbright Projektverantwortlicher im Bereich Legal Tech und berichtet im Interview über die Entwicklung des Tools „N-Accelerate“ – und zeigt dabei, dass sich selbst Großkanzleien bei der Digitalisierung manchmal schwer tun.

Herr Dr. Fiedler, Was genau ist N-Accelerate für ein Tool?

N-Accelerate dient dazu, durch Prozesse und Automations-Tools einen vereinfachten Zugang zur Dokumentenautomation zu erhalten. Dokumente wie Konsortialkreditverträge, Legal Opinions, Kaufverträge bei M&A-Transaktionen und für die Luftfahrtbranche, Vertriebsvereinbarungen in der Versicherungsbranche können automatisiert und damit weitaus schneller erstellt werden ohne die Qualität zu mindern. Anwälte haben durch das Tool mehr Zeit, sich auf die individuellen Gegebenheiten der Rechtsberatung zu konzentrieren.

Wie entstand die Idee für das Tool?

Als Bankenrechtler schreibt man zum Beispiel öfter mal 200-seitige Kreditverträge. Manchmal müssen diese aber nachträglich  geändert werden, wenn zum Beispiel ein Beteiligter aussteigt. Das ist eine Menge Fleißarbeit. Daraus formte sich dann die Idee, ob man dies nicht durch Technologie vereinfachen könne. Es ging also in erster Linie um Zeiteinsparung und die Ermöglichung einer effizienteren Arbeitsweise. Nun ist es nicht mehr erforderlich, zwei Stunden zu investieren, um im gesamten Dokument aus Plural Singular zu machen oder aus die Kreditnehmer der Kreditnehmer zu machen. Durch unser Tool werden die standardisierbaren Komponenten des Vertrags automatisiert. So hat man mehr Zeit für die individuellen Aspekte.

Wie viel Zeit sparen Sie durch die Nutzung von N-Accelerate effektiv ein?

Hier passt wohl die klassische Juristen-Antwort: Es kommt darauf an. An sich rechnen wir für jede Transaktion mit etwa zehn Stunden. Das hat den einfachen Hintergrund, dass wir früher ein Musterdokument hatten und daraus je nach individuellem Vertrag einzelne Teile herausgenommen und angepasst haben, die die Struktur der aktuellen Transaktion widergaben. Dies dauerte zehn Stunden, während der Vorgang heute durch die neuen Tools 20 Minuten in Anspruch nimmt.

Welche Voraussetzungen mussten in der Kanzlei geschaffen werden, damit sich Innovation überhaupt entwickeln konnte?

Es kommt auf das Mindset der Handelnden an. Bei mir ist es so: Ich bin durch meine Tätigkeiten und Interessen eher innovativ geprägt und interessiere mich für neue Technologien. Konzepte wie lean project management (https://de.wikipedia.org/wiki/Lean_Project_Management) sagen mir etwas und ich sehe dafür Anwendungsbereiche in meinem Geschäftsfeld. Das ist aber nicht unbedingt bei jedem so und das muss man auch verstehen. Deswegen war es mir wichtig, unsere Entscheidungsträger auf dem Weg dahin abzuholen. Das geht am einfachsten, wenn man konkrete Anwendungsbeispiele zeigen kann. Deswegen haben wir viel mit Prototypen gearbeitet und diese zwischendurch gezeigt. Wenn ich gekommen wäre und gesagt hätte: Ich habe eine super Idee, brauche allerdings ein Riesenbudget für die Umsetzung, wäre das sicherlich schwieriger gewesen, durchzusetzen.

Wir haben also einen ganz anderen Ansatz gewählt und mit ganz kleinen Sachen angefangen, um zu zeigen, was technisch machbar ist. Relativ schnell sind wir dann dazu übergegangen, komplexere Sachen zu machen. So sind wir von der Automation eines Dreiseiters innerhalb von zwei Jahren zur Automation eines 200-seitigen Dokuments übergegangen.

Wir sind dabei nach einem ganz klassischen „Lean-Ansatz“ vorgegangen und haben vorerst Prototypen entwickelt, diese gezeigt, getestet und weiterentwickelt. Das wichtige ist, einen Schritt nach dem anderen zu machen.

Können auch andere Kanzleien „N-Accelerate“ nutzen?

Da sind wir ganz egoistisch und wollen es nur intern nutzen, hauptsächlich für die Teams im Real Estate und Corporate. Hier ist der Bedarf an Dokumentenautomation groß. Zusätzlich bieten wir es unseren Mandanten an. Auch für sie ist Dokumentenautomation ein Thema von wachsender Bedeutung.

Treten sie dann als Software-Anbieter für Ihre Mandanten auf?

Nein, das wollen wir so eigentlich nicht. Wir sehen uns keinesfalls als Verkäufer eines Produktes, sondern vielmehr als Know-how-Lieferant. Wir helfen bei der Automation und bei der Frage, welche Software letztendlich die Richtige ist. Diese Entscheidung ist individueller Natur und obliegt allein dem Mandanten. Wir geben also nur Hilfestellung und unser Know-how dazu.

Was werden Ihrer Meinung in nächster Zeit die wichtigsten Themen im Bereich Legal Tech sein?

Das ist eine schwierige Frage und ich habe ehrlicherweise keine Antwort darauf. Was mir positiv aufgefallen ist: Der Hype um Legal Tech verschwindet nach und nach und wir können uns mehr darauf konzentrieren, was überhaupt praktisch umsetzbar ist. Diese ewigen wenig zielführenden Standarddiskussionen über Künstliche Intelligenz (KI) enden zum Glück langsam.

Generell muss man für jeden Bereich einzeln schauen, wo sich Technologie lohnt. Lohnt es sich, darauf eine Ressource und einen Partner zu setzen? Habe ich die richtigen Leute und habe ich die richtige Qualitätssicherung? Am Ende ist die Technologie ein Enabler, also ein Umsetzer, für vieles. Die Strukturen und Workflows muss man aber selbst umsetzen. Eine neue, vermeintlich innovative Software anzuschaffen ohne zu wissen, ob man sie überhaupt benötigt, ist sicherlich der falsche Ansatz. Das ist wie die Gier nach einem hübschen Spielzeug, das am Ende des Tages nur in der Ecke steht. KI wird uns in der Zukunft deutlich stärker interessieren. Aber in der Vielschichtigkeit der Arbeit, die wir nun einmal haben, glaube ich, dass dies eher unterstützend statt ersetzend für uns wirken wird.

Vielen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg in Sachen Innovation!

Das Interview als Video

So wird Legal Tech bei Norton Rose Fulbright umgesetzt

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