Staatsanwalt Staatsdienst

Interview mit Dr. Florian Schweyer LLM, Ex-Staatsanwalt und Richter am LG München

Ob Staatsanwaltschaft oder Richteramt – was führt eine/n Juristin/en zum Staatsdienst? Was genau zeichnet diese Arbeit aus und was sollte man mitbringen? Diese Fragen beantwortet Dr. Florian Schweyer LLM im Interview. Er ist Ex-Staatsanwalt und Richter am LG in München  und gibt seltene Einblicke in die Arbeit im Staatsdienst.

Lieber Florian, erzähl doch zum Einstieg mal etwas von deinem beruflichen Werdegang. Wie bist du zum Staatsdienst gekommen?

Dr. Florian Schweyer LLM schlug nicht selten den Weg ein, den sein Bauchgefühl ihm vermittelte. Er studierte an der Universität in Passau Jura, da ihm die  kleine Universität mit kollegialer Atmosphäre gefiel. Mit dieser Zeit verbindet er nur gute Erfahrungen. Die berühmt-berüchtigte Perlenkettenfraktion von Passau hat er, wenn überhaupt, nicht als negativ empfunden. Nach seinem Freischuss des 1. Staatsexamens 2006, auf das er sich beim Repetitorium bei Hemmer vorbereitete, schloss er einer Idee seines Vaters folgend einen LLM in San Francisco an. Anschließend promovierte er in München, wo er auch Dominik Herzog kennen lernte und sich sozusagen mit ihm gemeinsam die Bücher am Max-Planck-Institut um die Ohren schlug.  Ab Herbst 2010 begann er dann ebenfalls in München sein Referendariat.

Bei zwei guten Examina stehen einem alle Türen offen – ob Großkanzlei, Richteramt oder Patentamt. Wieso sich also nicht für das finanziell Ergiebigste, nämlich die Großkanzlei, entscheiden?

Weil ich juristisch arbeiten wollte. Dafür hatte ich studiert und die Examina abgelegt und genau das wollte ich machen. In einer privaten Kanzlei spielen aber gerade neben der juristischen Tätigkeit auch wirtschaftliche Aspekte eine große Rolle, wie z.B. das eigenständige Heranziehen von Mandaten. Auch in einer Großkanzlei kann man sich nach der Zeit als Associate, in der die Partner einem die Fälle zugespielt haben, nicht mehr auf dem eigenen Hintern ausruhen und muss selbst für Mandate sorgen. Dieser kommerzielle Aspekt hat mir nie gefallen. Daher kam eine Großkanzlei für mich nie in Frage. Trotz Angebote von sowohl Allen & Overy als auch Baker McKenzie entschied ich mich somit also dagegen.

Wieso hast du dich dann gerade für die Staatsanwaltschaft entschieden?

Die Staatsanwaltschaft bietet eine wahnsinnige Vielfalt an Möglichkeiten. Man kann zwischen den einzelnen Rechtsgebieten wechseln oder sich zum Bundesjustizministerium, zum BGH oder zum Generalbundesanwalt abordnen lassen. Auch der Übergang zum europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist möglich. Dies ist gerade in der Privatwirtschaft nicht in dem Maße möglich, zumal der Trend immer mehr Richtung Spezialisierung auf ein bestimmtes Rechtsgebiet geht.

Zudem überzeugte mich die Eigenständigkeit, die ein Staatsanwalt genießt. Ab dem ersten Tag hat er seinen eigenen Schreibtisch, unterschreibt selbstständig Verfügungen und Anklageschriften, ist am Telefon der Ansprechpartner und diskutiert mit Polizeibeamten. Zudem trägt der Staatsanwalt eigenständig die Plädoyers in der Sitzung vor, bei dem dann tatsächlich auch die Umsetzung des im Studium Erlernten stattfinden kann. Der Jurist lernt schließlich, autonom juristisch zu denken und dies kann er hier von Anfang an. Natürlich gibt es auch bei der Staatsanwaltschaft Ermessensrahmen wie in 153, 153a StPO, an die man sich halten muss. Dies ist jedoch die einzige Einschränkung, die man bei der Arbeit hat, während in Großkanzleien immer der Partner das letzte Wort hat.

Welche Kernkompetenz sollte man als Staatsanwalt mitbringen?

Man sollte sprechen können – und zwar nicht nur verständlich sondern eben juristisch wertvolle Plädoyers vortragen. Und man sollte es nicht nur irgendwie schaffen, sondern wirklich mögen. Außerdem muss man gutes Zeitmanagement betreiben und Standardfälle wie Verkehrs- und Drogensachen schnell „wegschaffen“ können. Denn die Zeit, die man hier zu viel aufwendet, fehlt einem dann unter Umständen bei den großen Fällen. Objektiv. Unvoreingenommen. Nüchtern. Das sind die Schlüsselbegriffe, die man vor jedem Fall verinnerlicht haben sollte.

Natürlich strebt man dabei immer nach der Wahrheit und versucht, das zu verängstigte oder gar vom Täter abhängige Opfer zur richtigen Aussage zu ermutigen. Jedoch kann auch eine Falschbeschuldigung vorliegen, die man manchmal sogar im Gefühl hat. Man muss demnach ebenfalls berücksichtigen, dass ein Ermittlungsverfahren eine nicht unerhebliche Belastung für den Verdächtigen darstellt. Darauf ist ein klarer, reflektierter Blick erforderlich.

Nicht jeder Fall kann aufgeklärt werden, womit man sich manchmal abfinden muss. Wenn sich ein Fall als nicht beweisbar herausstellt und kein dringender Tatverdacht vorliegt, muss man den Fall trotz etwaigem Drängen der Polizei fallen lassen oder nach der mündlichen Verhandlung einen Freispruch erzielen. Somit dient der Staatsanwalt als Filter vor der Hauptverhandlung, um einer Belastung der Gerichte vorzubeugen. Natürlich erfordert dies dann Mut, z. B. vor dem Kollegen, der Anklage eingereicht hat. Basiert die Entscheidung gegen ein weiteres Verfahren jedoch auf schlagkräftigen Argumenten, wird das keinerlei Schwierigkeiten bereiten. Schließlich existieren keine angestrebten Verurteilungsquoten innerhalb der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht, denen man gerecht werden müsste.

Worum ging es bei deinem spannendsten Fall Florian?

Mein spannendster Fall war der Doppelmord-Fall im Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen in Königsdorf im Februar 2017. Unbekannte töteten eine Frau und einen Mann, eine weitere Frau wurde schwer verletzt. Dies war einer der Fälle, die ich von der Nacht der Entdeckung der Toten am Tatort bis zur Urteilsfällung miterlebte. Die Herausforderung bestand darin, dass keine konkretisierbaren Hinweise auf etwaige Täter existierten, da Tötung aus Leidenschaft, wie es in den meisten Fällen gegeben ist, hier ausschied.

Wo und wie wird die Staatsanwaltschaft eingesetzt?

Bei vollendeten Tötungsdelikten wird die Staatsanwaltschaft stets an den Tatort gerufen und die Obduktionen müssen begutachtet werden. Damit sollte man übrigens auf keinen Fall ein Problem haben. Ansonsten wird abgewogen, wo der Staatsanwalt am sinnvollsten eingesetzt werden kann, um eine schnellstmögliche Wahrheitsfindung zu ermöglichen. Da die meisten Tötungsdelikte im Versuchsstadium hängen bleiben, wird hier meistens die Priorität auf die Opfer- und Zeugenvernehmungen gelegt. Außerdem werden Bildaufnahmen und Ablichtungen als Beweismaterial herangezogen.

Aber auch das Mitwirken bei einer größeren Hausdurchsuchung oder aber das Verwalten und Abhören im Rahmen der Telekommunikationsüberwachung vom Büro aus kann der beste Ort für den Staatsanwalt sein. Bei größeren Fällen teilen sich die mitwirkenden Kollegen auch auf die verschiedenen Einsatzorte auf, wie etwa beim Amoklauf-Fall in Grafingen. Hier machte sich einer auf den Weg zum Tatort, während ein anderer zur Obduktion ging und der Dritte im Büro blieb.

Was gefällt dir am Staatsdienst?

In Bayern ist nach vier bis fünf Jahren ein Wechsel zwischen Staatsanwalt und Richter vorgesehen. Somit weist der Staatsdienst ein breites Einsatzspektrum auf und das Bundesland wird dem Motto „Der Jurist in Bayern kann alles“ gerecht. Man kann hierbei auswählen, ob man als Richter oder als Staatsanwalt anfängt. Ich empfand den Anfang in der Staatsanwaltschaft als sehr angenehm, da sich hier das Socialising in dem jüngeren kollegialen Umfeld einfacher gestaltet als im Richteramt. Der Wechsel wird dadurch in die Wege geleitet, dass der leitende Oberstaatsanwalt mit einem Jobangebot im jeweils anderen Beruf bei einem anruft. Ich wollte nach fünf Jahren in der Staatsanwaltschaft am LG München als Richter arbeiten, insbesondere im Erbrecht und Gesellschaftsrecht. Das Arbeitsgericht und  dem oft emotionsgeladenen Schwerpunkt Familienrecht wollte ich ausweichen. Deswegen kam mir dieses Angebot sehr gelegen und ich nahm es sofort an.

Wie sieht das Anforderungsprofil eines Richters aus?

Juristisches Arbeiten ist stets, wie bereits erwähnt, mit dem effizienten Arbeiten verbunden. Die Akten im Richteramt sind zumeist viel dicker als in der Staatsanwaltschaft, weshalb es umso wichtiger ist, einen Sachverhalt schnell durchdringen zu können. Ein Richter im Privatrecht  als vermittelnde Partei sollte hierbei aber zusätzlich eine einfühlsame Art haben, mit der er die Interessen der Partei verinnerlichen kann und beurteilen, wo genau die einzelnen Beteiligten hin wollen. Zumeist wird ein Vergleich angestrebt und gerade kein Urteil, bei dem sich das Verfahren mit Berufung und Revision für alle weiter ziehen würde. Auch hier ist sprachliche Fitness angesagt. Einen Anklagesatz zu formulieren, ist längst nicht so anspruchsvoll wie ein tatsächliches Urteil zu verfassen. Dazu gehört auch der erforderliche Hang zur Vortragsliebe. Man muss sich bei Gericht wohl fühlen können, aber klar, das ist auch ein Stück weit Gewöhnungssache.

Welche Weiterentwicklungsmöglichkeiten hat man im Staatsdienst?

Es werden sowohl beim Richteramt als auch in der Staatsanwaltschaft kostenlose Fortbildungsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt, zum Beispiel zum Thema Vergleichsverhandlungen oder zur Telekommunikationsüberwachung. Diese werden stets von Fachmännern auf dem betroffenen Gebiet geleitet, wie etwa von Bundesrichtern.

Was ist die größte Angst des Richters?

Der Alptraum eines jeden Richters ist es wohl, das falsche Urteil gefällt zu haben. Ein Richter ist für die Herstellung von Gerechtigkeit zuständig. Würde sich im Nachhinein das Gefühl einschleichen, die falsche Entscheidung getroffen haben, würde dies zu schlaflosen Nächten führen, ganz klar. Jedoch ist ein Richter stets seinem Gewissen – und nur dem – unterworfen, was eine falsche Entscheidung nur in den seltensten Fällen zulassen dürfte. Immerhin bewertet er den Fall im Voraus nach juristischen Grundsätzen ausgiebig. Während im Strafprozess das Urteil sofort nach der Verhandlung ausgesprochen wird, hat er im Zivilprozess drei Wochen Zeit bis zur Urteilsverkündung. Somit hat er sich nach sorgfältiger Urteilsfindung nichts vorzuwerfen.

Alle vier Jahre wird man als Richter nach dem examensgleichen Punktesystem benotet – auch hier sind 18 Punkte in viel zu weiter Ferne. Aber keine Angst, eine schlechte Note lässt dich nicht durchfallen, sondern hindert lediglich daran, sofort befördert zu werden. Zusatzleistungen können darüber hinaus durch die Leitung von AGs für die Vorbereitung auf das zweite Examen gesammelt werden.

Wie sieht ein Richteralltag konkret aus?

Eigentlich ist es den Umfang betreffend ein ganz normaler Arbeitsalltag, bei mir  meistens von 8 bis 18 oder 19 Uhr mit einer Stunde Mittagspause. Wie bei jedem Job kann es ausnahmsweise natürlich zu Überstunden kommen, aber generell ist eine freie und auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnittene  Arbeitszeiteinteilung möglich. Das unterscheidet die Tätigkeit erneut von der Anstellung in einer (Groß-)Kanzlei, in der man den Weisungen der Partner unterworfen ist.

Wie sieht der Alltag eines Familienrichters aus? Wir haben einen Familienrichter für euch interviewt.

Würdest du den Staatsdienst AbsolventInnen empfehlen?

Steht man auf Vielseitigkeit im juristischen Beruf, bei dem aber wirklich bei jedem einzelnen Arbeitsfeld das juristische Handwerk von Belang ist, ist der Staatsdienst genau das Richtige. Man ist zudem sein eigener Chef und muss sich dennoch nicht um das eigenständige Heranziehen von Arbeit und Mandaten kümmern. Zwar ist Teamwork im Staatsdienst nicht so ausgeprägt wie in einem Anwaltsteam, jedoch kann Socialising auch außerhalb des eigenen Falls stattfinden. Abschließend lässt sich sagen, dass keine Entscheidung eine Einbahnstraße ist. Interessiert man sich für den Staatsdienst – oder auch gerade nicht – kann man einen möglichen Weg für sich auswählen und dann später doch wieder anders abbiegen.

Lieber Florian, vielen Dank für das interessante und nette Gespräch!

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Staatsanwalt & Richter | #Dominiktrifft: Ex-Staatsanwalt und Richter

Foto: Adobe Stock/ motortion

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