Scheitern wird im Jurastudium häufig stigmatisiert – Jan Philipp Mollenhauer hat mit der Gründung seiner Karriereberatungsagentur „Staatsexamen Plan B“ nicht nur eine persönliche Niederlage in eine Erfolgsgeschichte umgewandelt, sondern auch eine echte Geschäftsnische entdeckt. Im Interview mit mkg-jura-studis.de erzählt er, welche Rolle Glück im Examen spielt, wie man sich eine Beratung bei ihm konkret vorstellen kann und ob Legal Tech das Examen fairer machen könnte.
Herr Mollenhauer, wie kann man sich Ihre Beratungsstelle konkret vorstellen? Bieten Sie (ehemaligen) Jurastudierenden eine Mischung aus psychologischer Hilfe und Hilfe bei bürokratischen Prozessen?
Mein größter Vorteil ist, dass ich den Studierenden das Gefühl vermitteln kann, dass sie in ihrer Situation – egal ob endgültig gescheitert oder während der Examensvorbereitung – verstanden werden, da ich jede Situation selbst durchlebt habe und somit ein Scheitern auf keinen Fall verurteile, wie es leider in der Gesellschaft oft vorkommt. Die Beratung ist eine Kombination aus psychologischer und empathischer Hilfe, aber auch dem konkreten Aufzeigen von Möglichkeiten. Einige Studierende wären akademisch und beruflich mit dem Plan A des Jurastudiums nie so weit gekommen, wie mit dem Plan B.
Hierbei zeige ich nicht nur Möglichkeiten auf, sondern nehme die Studierenden an die Hand, unterstütze sie bei Zulassung, Anerkennung und Semesterplanung, so dass sich gewisse Fehler des bisherigen Studiums nicht wiederholen und sie auch die Sicherheit haben, immer einen Mentor an ihrer Seite zu wissen. Ein wichtiger Teil ist es, jede Person darin zu unterstützen, eine für sie individuelle und passende Alternative zu finden. Hier muss man in mehreren Gesprächen mit der oder dem Studierenden die richtige Alternative für sie oder ihn selbst erarbeiten und dann versuchen, das Maximum an Anerkennung zu erreichen.
Einige Jurastudierende merken ja nach dem bestandenen oder auch nicht bestandenen Examen, dass sie mit Jura eigentlich gar nichts mehr zu tun haben wollen. Gibt es Ihrer Meinung nach Bereiche am Arbeitsmarkt, in denen Juristinnen und Juristen als Quereinsteiger besonders geeignet sind?
Welche Fähigkeiten nimmt man aus dem Jurastudium mit? Überwiegend den exakten Gebrauch der deutschen Sprache, analytisches Denken bzw. systematische Herangehensweise an ein Problem und auch in gewissen Dingen Kreativität, eine Problemlösung zu suchen. Fähigkeiten die Juristinnen und Juristen oftmals zu Generalisten machen, da man sich mit diesem Handwerkszeug auch sehr gut in andere Bereiche der Wirtschaft oder im Öffentlichen Dienst bewegen kann, die nicht mehr in direkter Verbindung mit Rechtswissenschaften stehen. So werden sie gerne bei Verlagen, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, Versicherungen und in anderen Unternehmen eingestellt.
Ideal ist es, wenn man für diese Bereiche das Jurastudium um eine entsprechende Weiterbildung ergänzt, um sich entsprechend thematisch von Jura zu distanzieren. Als Basis bleibt das Jurastudium jedoch ein immer gern gesehenes Hauptstudium auf dem Arbeitsmarkt. So sind Stellen, die ein Jurastudium im Profil berücksichtigen, oftmals versteckt und unter anderen Begriffen in den Jobportalen gelistet. Man muss hier mutig sein und sich auch auf Stellenausschreibungen bewerben, die zunächst dem Anschein nach nichts mit dem Studium direkt zu tun haben.
Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach Glück im Staatsexamen? Oder anders gefragt: Haben die meisten Ihrer Kunden, die ihr Staatsexamen nicht bestanden haben, einfach mehr unter dem starken psychischen Druck gelitten – oder können die in den meisten Fällen schon identifizieren, dass sie z. B. falsch gelernt haben?
Wenn man Rechtsanwälte, Richter oder allgemein Jura-Absolventen fragt, wie sie ihr Staatsexamen bestanden haben – hört man sehr oft die ehrliche Antwort: „mit einer großen Portion Glück“. Wie definiert sich dieses Glück? Man muss für das 1. und 2. juristische Staatsexamen eine nahezu unüberschaubare Lehrstoffmenge, aktuelle und ältere Urteile sowie im Allgemeinen Rechtsprechung, Minder- und Literaturmeinungen beherrschen. Somit hat es zu einem gewissen Grad etwas mit Glück zu tun, wenn man in der entscheidenden Lernphase ein entsprechendes Urteil nachgearbeitet hat und man die Feinheiten der Entscheidung kennt, so dass zum Beispiel zwei sehr gute oder sehr schlechte Klausuren im Öffentlichen Recht über ein gutes oder nichtbestandenes Examen entscheiden können.
Aus meiner Sicht besteht der Erfolg im Examen zu einem Drittel aus Wissen, einem Drittel aus Glück und zu einem Drittel aus einer beruhigten Psyche. Die Belastbarkeit der Psyche wird von Beginn an mit einem hohen Lernpensum, hohen Durchfallquoten schon in den ersten Klausuren, etc. trainiert – jedoch schwebt die ganze Zeit dieses Damoklesschwert des Examens – der finalen Endprüfung, die alles entscheidet – über einem. Dies übt vor allem beim 2. und letzten Versuch schon während der alltäglichen Lernphase enormen Druck aus, der dann während der sechs Examensklausuren innerhalb von acht bis zehn Tagen seinen Höhepunkt erreicht. Man weiß jeden Morgen auf dem Weg zum Klausursaal – jede Klausur ist entscheidend für den Erfolg und man erhält drei Monate später mit dem Ergebnis die Quittung für ein 9-16 Semester langes Studium. Die Studierenden stehen bei Nichtbestehen bis auf zwei Ausnahmeuniversitäten mit rein gar nichts in der Hand da und haben nur ganz geringe Chancen auf dem Arbeitsmarkt – ein weiterer Faktor, der den psychischen Druck erhöht.
Ob man das Scheitern auf „falsches Lernen“ zurückführen kann, wage ich zu bezweifeln. Bei dem Studium der Rechtswissenschaften handelt es sich um eine Geisteswissenschaft. Jeder Geist ist somit individuell und dementsprechend gibt es kein „Wundermittel“, um das Staatsexamen zu bestehen. Die Lernmethoden sind unterschiedlich, so dass man zwar die Routine mit Klausurkursen oder das Wissen mit den universitären Examinatorien üben kann, aber am Ende ist die Prüfungssituation des Staatsexamens eine ganz andere als jede Übungsklausur. Einen Musterlernplan gibt es nicht und auch das Geschäft mit der Angst vom ersten Semester an, was zu den Repetitoren führt, ist niemals das Wissen mit dem goldenen Löffel, was alleine für das erfolgreiche Bestehen des Staatsexamens entscheiden wird.
Die Juristin und Professorin Marietta Auer hat kürzlich in einem Interview geäußert, dass diese künstliche Examenssituation weder mit Wissenschaft noch mit Praxis etwas zu tun habe. Angenommen, der Wille, das Staatsexamen zu reformieren, wäre da. Was müsste Ihrer Meinung nach als erstes geändert werden?
Die aktuelle Juristenausbildung ist nicht nur im 20. sondern eigentlich schon im 19. Jahrhundert leider stehen geblieben. Egal in welcher Position man als Juristin oder Jurist beginnt, man braucht ca. fünf Jahre, um die tatsächliche Praxis zu erlernen. Erfahrene Richter/innen, Staatsanwälte/innen und Rechtsanwälte/innen übernehmen dies oft in mühevoller Kleinstarbeit und hinterfragen dabei selbst die aktuelle Ausbildung. Eine aktuelle Studie des Richterbundes stellt die Zukunftsfähigkeit der Justiz dabei vor eine große Herausforderung, da in den nächsten fünf bis zehn Jahren alleine mindestens 10.000 Richter/innen und Staatsanwälte/innen fehlen werden. Juristinnen und Juristen in der Verwaltung, Wirtschaft und in den Kanzleien sind hierbei noch gar nicht berücksichtigt. Bei aktuellen Durchfallquoten von 35-50 Prozent, je nach Bundesland, und einer allgemein bekannten Unattraktivität der Juristenausbildung – ein nicht zu bewältigender Nachwuchsmangel.
Eine erste Reform sollte sein, dass man das Staatsexamen nicht entwertet – wovor viele der heutigen Juristinnen und Juristen Angst haben – sondern, dass man die vielen erbrachten Studienleistungen, die über dem Niveau und Umfang eines Bachelors liegen, mit einem Bachelorabschluss (LL.B.) bundesweit würdigt. Mit diesem Bachelorabschluss, hat man zumindest eine Basis, um sich in der Wirtschaft oder Verwaltung beruflich weiterzuentwickeln. Es gibt bereits einige Universitäten, die die vorgegebene Regel- oder Mindeststudienzeit von acht bzw. mittlerweile neun Semestern, mit 30 ECTS Punkten pro Semester bewerten. Dies geschieht leider nur hypothetisch falls es im Staatsexamensstudiengang ECTS Punkte, wie in den Bachelorstudiengängen gäbe. Dabei würden die erbrachten Studienleistungen mit 240-270 ECTS Punkten bewertet, was sogar einem Bachelor- und Masterabschluss entsprechen würde.
Ein weiterer Schritt in die richtige Richtung wäre die Notenskalierung (0-18 Punkte) in Schulnoten umzuwandeln. Damit würde man einen transparenteren Bewertungsmaßstab schaffen. Diese Transparenz bei der Bewertung von Klausuren sollte auch gewissermaßen kontrollierbar sein, da es erschreckend ist, wie viele Korrektoren hier auf ihre persönlichen Sichtweise und Klausurlösung beharren, obwohl teilweise Richter des Verwaltungsgerichtshofs bei einem Prüfungsklageverfahren versuchen, dem Landesjustizprüfungsamt sowie den Korrektoren eine vertretene Ansicht des Studenten zu erklären, die sich mit der Ansicht der Rechtsprechung deckt.
Die größte und entschiedenste Reform, um das Studium attraktiver zu gestalten, ist die Aufspaltung der Prüfungsklausuren nach Rechtsgebiet. Zivilrecht, Öffentliches Recht und Strafrecht innerhalb von zehn Tagen hat keinerlei Bezug zur Praxis und ist auch kein Gradmesser für einen guten oder schlechten Juristen bzw. eine schlechte Juristin. Alle drei Rechtsgebiete sind in ihren Details komplett unterschiedlich, so dass man diese ohne weiteres – unter Beibehaltung der fünfstündigen Examensklausuren – über zwölf Monate verteilt schreiben und somit prüfen kann.
Tun die Universitäten mittlerweile mehr, um die Studierenden zu unterstützen, oder das Thema Scheitern mehr aus dem Tabubereich zu ziehen?
Die Universitäten haben in den letzten zehn Jahren versucht, die Vorbereitung auf das Staatsexamen zumindest mit den Examinatorien zu verbessern. Jedoch fehlen oftmals moderne Lernangebote wie Online-Vorlesungen, so dass man sich eine Vorlesung zu einem bestimmten Rechtsgebiet mehrmals anhören und somit den Lerneffekt verbessern könnte.
Was die Unterstützung beim Thema Scheitern betrifft sind die allgemeinen und Fachstudienberatungen leider sehr unterschiedlich. Es gibt einen sehr großen Bereich von Alternativen im In- und Ausland, der leider nicht abgedeckt wird. Dies war auch Hauptgrund meine Karriereberatung – Staatsexamen Plan B – ins Leben zu rufen. Viele Details zu Alternativen kennt nicht mal Google, so dass auch eine Eigenrecherche oft nicht weiterhilft. Einige Universitäten führen nun Vorträge zum Thema „psychischer Druck während des Studiums und Alternativen im Falle des Scheiterns“ ein – jedoch sind die Alternativen oftmals sehr dünn und gehen über den Bachelor im Wirtschaftsrecht oder ein komplett neues Studium nicht hinaus. Auch fehlt das Detailwissen zu den zahlreichen anderen Universitäten oder Fachhochschulen, so dass die Anerkennung der geleisteten Prüfungen, oftmals viel zu gering ausfällt. Ein Beispiel: Im Studiengang Wirtschaftsrecht sollten mindestens 90 ECTS Punkte anerkannt werden und nicht nur oftmals 20-40 ECTS Punkte.
Könnte die Digitalisierung bzw. Legal Tech dabei helfen, das Examen fairer zu gestalten?
In gewissen Bereichen kann die Digitalisierung auch das Staatsexamen fairer machen. Ein großer und wichtiger Schritt ist das E-Examen, sprich das Verfassen der Klausuren mit Hilfe eines Laptops. Dies ist schon in wenigen Bundesländern in Planung – warum dies jedoch teilweise zwei bis drei Jahre dauert, ist nicht nachvollziehbar. Vorteil des E-Examens, dass nicht nur der oder die Studierende durch die ordentliche Computerschrift den Überblick behält, sondern auch die Korrektoren sich deutlich einfacher tun, was die Leserlichkeit der teilweise über 30 handschriftlich geschriebenen Seiten betrifft. Nicht jeder schafft es, unter Zeitdruck so viele Seiten gut leserlich zu schreiben.
Des Weiteren wäre es sinnvoll, das Studium um Online-Vorlesungen zum Nacharbeiten und interaktiven Kursen bzw. Tests zu ergänzen, damit man gewisse Dinge nach mehrfachem Hören besser versteht und auch anhand von Online-Tests zu Vorlesungskapiteln sein Wissen stetig überprüfen kann. Das Ausland macht es uns hier bereits mit multimedialen Studiengängen parallel zum Präsenzstudium vor. Momentan ist das deutsche Jurastudium leider überwiegend ein Selbststudium.
Herr Mollenhauer, herzlichen Dank für Ihre Zeit und Ihre Antworten!