In diesem Beitrag geht es um die Frage: Wozu können Angst und Selbstzweifel im Jurastudium eigentlich führen? Und was kann der Wunsch nach Perfektion mit euch machen?
Dazu eine kleine Geschichte von einem sehr guten Freund von mir, mit dem ich zusammen angefangen habe, Jura zu studieren. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Er hat bis zum heutigen Tage kein Examen geschrieben. Weder das Erste, noch das Zweite Staatsexamen.
Nur zum Vergleich: In der Zwischenzeit habe ich zwei Staatsexamen geschrieben, meine Promotion abgeschlossen und bin seit mittlerweile sieben Jahren im Berufsleben.
Selbstzweifel im Jurastudium können bis zur Exmatrikulation führen
Im Folgenden schildere ich euch den Denkfehler, den der Freund von mir hatte. Ich habe schon oft mit ihm deswegen diskutiert, weil ich es nicht verstanden habe, aber ich glaube, dass ich seine Denkweise zumindest nachvollziehen kann.
Dieser Freund wollte für das Examen perfekt vorbereitet sein, das heißt: Er wollte alle Rechtsgebiete parat haben, alle Klausuren ideal beantworten können und hat immer dann, wenn die Anmeldefrist zum Examen kurz bevorstand, festgestellt: Ich bin noch nicht soweit und ich schaffe es in den nächsten drei Monaten zum Examen auch nicht, perfekt vorbereitet zu sein.
Damit hat er so lange weiter gemacht, bis er letztendlich exmatrikuliert wurde, weil er bereits im 16., 18. oder sogar 20. Semester war. Irgendwann hat die Uni gesagt: Wenn du dein Staatsexamen jetzt nicht schreibst, ist der Weg für dich hier beendet.
Ungewissheit gehört zum Jurastudium
Doch was ist der Grund, warum er letztendlich nicht geschrieben hat? Das war ein falscher Perfektionismus. Ich kann euch sagen – dieser Moment, in dem ihr feststellt: Jetzt kann ich alles, ich beherrsche alle Rechtsgebiete, ich beherrsche alle Theorien, Rechtsstreite und ich habe alles Wissen parat – den wird es nie geben.
Jura ist immer ein Kampf gegen das Vergessen. Ihr müsst irgendwann einfach mit dem Lernen abschließen und sagen: Ich schreibe jetzt das Staatsexamen, egal was passiert.
Es werden immer Sachverhalte und Fragestellungen kommen, mit denen ihr nicht umgehen könnt. Aber es ergibt keinen Sinn, Angst vor der Ungewissheit zu haben. Ungewissheit wird es im ganzen Leben geben und es wird immer Situationen geben, in denen ihr nicht perfekt vorbereitet seid.
Das heißt, ihr müsst irgendwann sagen: Jetzt versuche ich es einfach.
Das hat mein Freund nie gemacht. Ich bin überzeugt davon, er hätte das Staatsexamen bestanden. Ich weiß nicht, mit welcher Note. Aber ich bin fest davon überzeugt, er hätte es bestanden. Es kam aber nie so weit, weil er einfach vor diesem Moment des „Jetzt zählt es” zu viel Angst hatte.
Prokrastination ist keine Lösung
Ihr dürft nicht so viel Angst vor dem Staatsexamen oder vor einzelnen Klausuren haben, dass ihr das Examen schiebt. Durch das Schieben wird es nicht besser. Im Gegenteil: Ihr verliert Zeit, aber ihr werdet nicht schlauer. In dem Moment, in dem ihr die Prüfungen schiebt, atmet ihr durch und verliert dadurch schon wieder Zeit, sodass ihr beim nächsten Anmeldetermin genauso weit sein und wieder feststellen werdet: Ich kann noch nicht alles.
Prokrastination nennt man das. Man schiebt das Staatsexamen immer weiter weg, aber man ist nicht besser vorbereitet, nur weil man es aufschiebt. Es fühlt sich einen Moment lang gut an, aber es wird anschließend nicht besser.
Äußere Umstände könnt ihr nicht beeinflussen, eure innere Einstellung schon
Ich sehe und höre immer wieder, wie demotiviert Jurastudierende sind, wie viel Selbstzweifel sie haben. Sie haben Angst vor der nächsten Klausur. Sie haben Angst vor der Zwischenprüfung, sie haben Angst vor dem Examen, sie haben Angst vor dem Referendariat, vor dem Zweiten Examen, vor der Zukunft ohne neun Punkte.
Letztlich sind das alles äußere Umstände, die man aktiv gar nicht beeinflussen kann. Man kann nur seine eigene Einstellung zu diesen Umständen ändern. Man kann z. B. Weichen stellen, um für den Fall vorzusorgen, dass man vielleicht keine neun Punkte hat. Und ich kann euch versichern, es gibt genügend erfolgreiche Juristen und Juristinnen in den unterschiedlichsten Jobs, die keine neun Punkte hatten, sondern ein schlechteres Examen – und trotzdem heute zum Teil deutlich erfolgreicher sind als Leute, die bessere Noten hatten.
In diesem Sinne: Selbstzweifel im Jurastudium dürfen einen nicht kaputt machen und man darf sich von ihnen keinesfalls bremsen lassen, sondern man muss sich auf das fokussieren, was einem zu einem so gut wie möglich bestandenen Examen führt.